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Eletre S, ein SUV namens Lotus?

Alle renommierten Sportwagenmarken haben SUVs mit dem Prestige ihrer ultraflachen Geschwister auf den Markt gebracht. Nun präsentiert Lotus seinen vollelektrischen Hyper-SUV.

Veröffentlicht am 26/08/2024, geändert am 09/09/2024

Alle renommierten Sportwagenmarken haben SUVs mit dem Prestige ihrer ultraflachen Geschwister auf den Markt gebracht. Nun präsentiert Lotus seinen vollelektrischen Hyper-SUV.

Hat sich der Autobauer für einen SUV entschieden, da seine Kundschaft mittlerweile vor allem aus „Boomern“ besteht, denen es zunehmend schwerfällt, aus den kaum einen Meter hohen Flitzern zu klettern? Oder ist der neue SUV einfach nur Mittel zum Zweck, um von der SUV-Welle zu profitieren? Die Verkaufszahlen geben dem Hersteller jedenfalls Recht, der seit der Übernahme (oder Rettung) durch das chinesische Unternehmen Geely wieder an seinen Geschäftserfolg anknüpfen kann.

Verfügt der Eletre noch über die DNA von Lotus?

Angesichts eines Fahrzeugs mit einer Länge von fünf Metern und einem Gewicht, das praktisch drei Lotus Elise entspricht, würde sich Sir Colin Chapman vermutlich im Grab umdrehen. Denn der Rennwagen-Konstrukteur setzte bei der Konzeption eines Fahrzeugs vor allem auf Leichtigkeit. In der heutigen Elektrofahrzeugtechnologie sind Leichtgewichte jedoch nur selten anzutreffen. Es braucht einiges, um mit Elektronen 600 PS zu erreichen und dabei eine Reichweite zu garantieren, die mit den langen Strecken im Straßenverkehr vereinbar ist. Wir wollen das Fahrzeug jedoch erst testen, bevor wir uns ein Urteil bilden!

Der Eletre (der „EletrA“ auszusprechen ist) gleicht in natura einem imposanten Fahrzeug, dessen Linienführung aber auf den Lotus-Stil abgestimmt ist. Die tief ausgeschnittenen Scheinwerfer, die großen Räder und die nach hinten ansteigende Linienführung verleihen ihm in Kombination mit den schmalen Fenstern eine wilde, katzenhafte Eleganz, die an die Supersportwagen der Marke erinnert. Dies bestätigt sich auch beim Fahren: Das leise Auto kommt wie auf Samtpfoten daher, ist aber immer zum Sprung bereit. Davon später mehr!

Willkommen in der ersten Klasse

Die versenkten Türgriffe des Eletre werden mittels des kleinen Schlüssels in Form des Lotus-Logos herausgefahren. Da dieser zwar stylish, aber leicht zu verlieren ist, dürfte sich die Integration eines AirTags lohnen. Wie durch Zauberhand wirkt der Innenraum größer als es von außen den Anschein hat. Das sehr schlichte Design des Armaturenbretts in Form eines schmalen Bandes vor dem Fahrer und der große Bildschirm, der in der Mitte zu schweben scheint, tragen das Ihrige dazu bei. Und auch das Head-up-Display ergänzt diesen Eindruck. Das lichtdurchlässige Dach und die Verkleidung in Hellgrau lassen das Fahrzeug trotz des trüben Wetters erstaunlich hell wirken. Beeindruckend schön sind auch die Verkleidung mit sichtbaren Doppelnähten, das Lenkrad und die Oberflächen aus Alcantara. Nach Angaben von Lotus sind die verwendeten Materialien weitgehend recycelt und vegan. Das Fahrzeug wirkt trotzdem sehr hochwertig.

Die Sitze sind mit allen erdenklichen Funktionen ausgestattet, sie sind anschmiegsam und verengen sich, wenn der Sportmodus aktiviert wird. Dank des großen Radstands und des fehlenden Mitteltunnels bestätigt sich auf den Rücksitzen das Gefühl, in der ersten Klasse zu reisen.

Hyper-SUV?

Das Marketing spielt gerne mit Superlativen und im Fall von Lotus auch gerne mit Hyperlativen. Wir waren daher gespannt darauf, ob sich eine solche Beschreibung beim Fahren des Eletre bewahrheitet. Die Handhabung ist einfach. Sobald man sich an die elektronischen Rückspiegel gewöhnt hat (die Eingewöhnung braucht Zeit), schlängelt man sich schon im Modus „Tour“ durch den Verkehr. Die Luftfederung hilft effektiv über die tiefsten Schlaglöcher hinweg und in Verbindung mit der Vierradlenkung überrascht die Wendigkeit unseres Lotus. Wie nicht anders zu erwarten war, sorgt das Drehmoment der Elektromotoren für eine rasante Anfahrt, auch wenn das Anfahren aus dem Stand heraus etwas gezügelt wirkt. Soll dadurch die Mechanik geschont werden oder der Abstand zur 900 PS starken R-Version vergrößert werden? In jedem Fall droht den Mitfahrenden kein Schleudertrauma, wie dies bei anderen Elektroautos mit ähnlicher Performance häufig der Fall ist. Die Leistung ist sehr beeindruckend und Überholmanöver sind im Handumdrehen möglich.

Auf kurvigen Straßen überzeugt der SUV mit Wendigkeit und guter Straßenlage, wobei das Gefühl der Sicherheit nicht das Fahrvergnügen überschattet. Beim Wechsel in den „Sport“-Modus werden die Federung und die Lenkung moderat straffer, ohne jedoch die Sportlichkeit deutlich zu erhöhen. Das Fahrgefühl ist sicherlich angenehmer als beispielsweise in einem Tesla Model X. Trotz der aktiven Steuerung in Kurvenfahrten und des niedrigen Fahrzeugschwerpunkts hat man nicht das Gefühl, hinter dem Steuer eines „echten“ Sportwagens zu sitzen. Das Gewicht und die hohe Sitzposition beeinflussen das Fahrgefühl.

Natürlich kann man in einem SUV dieses Kalibers nicht einen Fahrkomfort wie in einem Evija erwarten und wahrscheinlich wäre das auch nicht Sinn der Sache. Man kann sich jedoch fragen, ob der Eletre in der R-Version dem Prädikat „Hyper“ besser gerecht würde.

Aktualisierungen „over the air“

Angesichts dessen, dass das E-Auto so viele Sensoren besitzt wie ein F-35-Kampfjet (vier Lidars, sechs Radare, sieben hochauflösende Kameras, zwölf Ultraschallsensoren), sollten die Fahrhilfen eine außergewöhnlich hohe Leistung bieten. Lotus kündigt übrigens an, dass der Eletre bereit ist für das autonome Fahren der Stufe 3 oder sogar 4, abhängig von den künftigen Vorschriften. Die Funktionen werden „over the air“ aktualisiert. Es bleibt aber noch einiges zu tun. Trotz einer recht beeindruckenden Anzeige des umgebenden Verkehrs auf dem zentralen Display wird der adaptive Tempomat manchmal unerwartet langsamer, vor allem beim Spurwechsel auf der Autobahn. Als Fahrer wird man somit hartnäckig daran erinnert, dass man die Hände am Lenkrad lassen sollte, obwohl man es fest in der Hand hält. Der Importeur ist sich dieses Problems bewusst (Test im März 2024) und plant eine baldige Aktualisierung.

Herrlich unvernünftig

Aufgrund der Abmessungen und der Performance dieses Fahrzeugs im Straßenverkehr war eine leistungsstarke 112-kWh-Batterie erforderlich, um eine angemessene Reichweite zu gewährleisten. Lotus weist eine Reichweite von 600 km nach WLTP aus. Wie gewöhnlich liegt die tatsächliche Reichweite deutlich darunter: Während unserer Testfahrt auf einer 200 Kilometer langen Autobahnstrecke mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 102 km/h zeigte der Verbrauch 27,8 kWh/100 km an, was eine Reichweite von rund 400 Kilometern ergibt. Zugegeben, wir haben hin und wieder mit dem Gaspedal gespielt und hätten noch mehr aus dem Fahrzeug herausholen können. Die Verbrauchswerte sind mit anderen, „braveren“ SUVs der gleichen Größe vergleichbar. Ein weiterer wichtiger Punkt beim Reisen betrifft die schnelle Ladefähigkeit. Bei einer angegebenen Ladeleistung von 350 kW und einer 800-Volt-Technologie könnte man erwarten, dass man während des Ladens nur Zeit für eine Tasse Kaffee hat. Wir haben bei den Probefahrten jedoch selten mehr als 160 kW erreicht. Den vorliegenden Informationen nach soll Lotus an einer Aktualisierung der Vorkonditionierung arbeiten, was die Ladeleistung erhöhen würde.

Hinsichtlich Benutzerfreundlichkeit sind der große Kofferraum mit 688 Litern und das beeindruckende KEF-Soundsystem mit bis zu 23 Lautsprechern und 2.160 Watt (je nach Option) zu nennen.

Dank des Designs, der Größe, der Leistung und des Preises von 160.770 Euro  (Testversion) ist der Eletre eher ein attraktiver Wertgegenstand als ein gewöhnliches Fortbewegungsmittel. Aber auch diese letzte Rolle erfüllt er sehr gut.

Das hat uns gefallen:

  • beeindruckendes Design
  • Performance
  • komfortable und effiziente Federung
  • hochwertige Verarbeitung

 Das hat uns nicht gefallen:

  • Fahrerassistenz verbesserungsfähig
  • Geräusche des Querrudermotors
  • unbeständige Heizung

Technische Daten ELETRE S (Testversion):

Antrieb: 2 Permanent-Magnet-Motoren, Allradantrieb und Direktantrieb (Option)
Leistung: 450 kW / 710 Nm
Emissionen: 0g CO2/km
Reichweite: 600 km nach WLTP
Beschleunigung:  von 0 auf 100 km/h in 4,5 s
Aufladen: 22 kW AC – 350 kW DC
Preis: ab 120.090 €

Von Claude Poull